Das Bilderbuch meiner Jugend by Sudermann Hermann

Das Bilderbuch meiner Jugend by Sudermann Hermann

Autor:Sudermann, Hermann
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-02T16:00:00+00:00


Noch ein anderes Lied weiß ich, das schönste, das ich singen kann von meiner Sippschaft und meines Blutes Ursprung.

Das führt zu jenem Haus am Schwalbenberg, wo meine Großmuter fünf vaterlose Waisen fürs Leben tüchtig machte und wo meiner Mutter Jugendträume ihre Heimat haben.

Eine Hütte, niedrig und strohgedeckt, mit blitzblanken Fenstern, wenn auch windschief nach allen Richtungen hin. So hat es eines Tages vor mir gestanden, als ich von Elbing aus übers Haff hinfahren durfte, um mich den mütterlichen Verwandten in dem jungen Glanze meines Sekundanertums vor Augen zu führen.

In dem Gärtchen, das es umgab, blühten die Primeln und knospete der Flieder, und Jungmädchenlachen von Kusinen und Halbkusinen ohne Zahl lag mir holdselig im Ohre. Da erwuchsen bei Haschen und Pfänderspiel mit den ersten Blumen um die Wette die ersten Küsse und ließen einen rätselhaft süßen Geschmack auf den Lippen zurück und eine süße Wirrnis im Herzen, für die es keinen Namen gab und geben durfte, weil es doch alles nur ein Spiel war.

Und stieg man ein paar Schritte hoch bis zur Landmark, die auf dem Gipfel des Berges thronte, dann lag die Welt, die man bezwingen wollte, in einladender Demut einem zu Füßen. Das gelbe Haff und das grasgrüne Meer und die leuchtende Nehrung dazwischen. Und Schiffe gingen und kamen, Barken und Schoner und stolze Dreimaster, mit turmhoher Leinwand bekleidet, und schwarze, hohltutende Ungetüme, die hier im Hafen ausladen mußten, weil die Rinne des Pregels für die Weiterfahrt nach Königsberg zu flach und zu schmal war. Die kamen von Portsmouth und Glasgow oder gar von Kingston oder Batavia – und mein Großvater war nun sicher auf keinem mehr und winkte der Heimat entgegen.

Man kann sich wohl vorstellen, daß eine einsame Frau ein Leben lang hier oben gestanden hat, um den Augenblick des Wiedersehens nicht zu verfehlen.

In ihrem Heim und Eigen waltete nun fleißig und zäh und zersorgt die älteste Tochter, die an einen Maurer verheiratet war, der Bruder hieß. Ein stiller Mann mit einem Apostelkopf, der schüchtern und verwundert das Toben der Jugend mitansah.

Und eines späteren Tages erinnere ich mich, da war vornehmer Besuch im Hause. Der Dichter der »Ehre« war eingekehrt mit seiner Mutter von weither – und die noch immer schöne Tante Charlotte, die gar einen rasselnden Adelsnamen trug, und andere edle Gäste noch mehr. Da hatten die Hühnchen des Hauses ihr junges Leben lassen müssen, und die Himbeersoße blutete über Bergen von Reisbrei.

Wir schmausten lachend unter der blühenden Linde, unbekümmert, ob solche Feste dem Tagelohn des armen Maurers entsprachen oder nicht.

Er selbst aber, der Gastgeber, saß bescheiden in einen Winkel gedrückt, offenbar von dem Gefühl beherrscht, daß er in seiner Niedrigkeit gar nicht hierher gehöre. Und als man auch ihm einen Teller voll hinsetzte, da bemerkte ich, wie er sich mit einer Art von freudiger Rührung dafür bedankte, als könne er so viel Beachtung gar nicht verlangen. Und dabei sah er aus, als hätte er gestern mit dem Herrn Jesus zu Tische gesessen.

Damals war es das letzte Mal, daß ich das Haus am Schwalbenberg heimsuchte.

Heute ist es



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